Jahrhundertwinter – das Wort elektrisiert jeden Winter aufs Neue. Medien spekulieren über eisige Temperaturen, meterhohe Schneemassen und arktische Kälte. Im Winter 2025/2026 sind die Diskussionen besonders intensiv: Ein schwacher Polarwirbel und La Niña könnten das Winterwetter beeinflussen.
Doch was steckt hinter dem Begriff? Wie wahrscheinlich ist ein Jahrhundertwinter wirklich? Und wie sahen die echten Extremwinter der Vergangenheit aus? Dieser Artikel liefert alle Fakten – wissenschaftlich fundiert und ohne Sensationsmache.
Was ist ein Jahrhundertwinter?
Eine wissenschaftliche Definition für den Begriff „Jahrhundertwinter“ existiert nicht. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) verwendet den Ausdruck nicht – er gilt als Medienerfindung. Meteorologe Andreas Walter bezeichnete ihn gegenüber der Berliner Morgenpost als „aus der Luft gegriffen“.
| Merkmale eines Extremwinters | Beschreibung |
|---|---|
| Temperatur | Durchschnitt mehr als 3 °C unter dem Normalwert |
| Dauerfrost | Wochen mit Temperaturen konstant unter 0 °C |
| Schneedecke | Geschlossene Schneedecke über mehrere Wochen |
| Extremereignisse | Schneestürme, zugefrorene Flüsse, Verkehrschaos |
| Häufigkeit | Statistisch etwa alle 50-100 Jahre |
Meteorologen sprechen von einem Jahrhundertwinter, wenn der Winter weit unter dem Durchschnitt liegt – mit anhaltendem Dauerfrost und geschlossener Schneedecke über Wochen. Statistisch liegt die Wahrscheinlichkeit dafür bei unter fünf Prozent.
Prognose Winter 2025/2026: Kommt der Jahrhundertwinter?
Die Antwort des Deutschen Wetterdienstes ist deutlich: Nein. Die aktuelle Temperaturvorhersage zeigt für Deutschland eine starke Tendenz (86 Prozent) für einen normalen bis wärmeren Winter im Vergleich zum Durchschnitt 1991-2020.
Aktuelle Einschätzung des DWD:
„Von einem ‚Jahrhundertwinter‘ kann zum aktuellen Zeitpunkt nicht gesprochen werden.“
Allerdings gibt es einige Faktoren, die das Winterwetter beeinflussen könnten:
- Schwacher Polarwirbel: Viele Modelle sagen für 2025/2026 einen schwächeren Polarwirbel voraus
- La Niña: Eine schwache La-Niña-Phase könnte Kältephasen begünstigen
- Stratosphärenerwärmung: Das Risiko für plötzliche Kälteeinbrüche ist erhöht
Die Wahrscheinlichkeit für einen merklich kalten Winter liegt laut aktuellen Modellen bei etwa 20-30 Prozent – deutlich höher als im Vorjahr, aber weit entfernt von einem Jahrhundertwinter.
Der Polarwirbel: Schlüssel zum Winterwetter
Der Polarwirbel ist das entscheidende Wettersystem für europäische Winter. Er bestimmt, ob die arktische Kälte im Norden bleibt – oder nach Süden ausbricht.
Wie funktioniert der Polarwirbel?
Der Polarwirbel ist ein riesiges Tiefdruckgebiet über dem Nordpol. Im Winter bildet er sich durch die starke Abkühlung in den Polargebieten. Kräftige Westwinde umschließen ihn wie ein Vorhang und halten die Kälte gefangen.
| Polarwirbel-Zustand | Auswirkung auf Deutschland |
|---|---|
| Stark und stabil | Mildes, wechselhaftes Winterwetter mit Westwinden |
| Schwach und instabil | Kältephasen möglich, Arktisluft kann nach Süden vordringen |
| Polarwirbel-Split | Langanhaltende arktische Kälte bis nach Mitteleuropa |
Was passiert bei einem Polarwirbel-Split?
Wenn warme Luft in den Polarwirbel eindringt, kann er sich teilen – der sogenannte Polarwirbel-Split. Die arktische Kälte wird nicht mehr am Pol gehalten und kann weit nach Süden strömen. Bei einem solchen Ereignis können Temperaturen von minus 20 Grad und mehr auch in Deutschland erreicht werden.
Der letzte markante Polarwirbel-Split mit Auswirkungen auf Deutschland ereignete sich im Februar 2021. Sibirische Kälte erreichte damals weite Teile des Landes.
La Niña und der Wintereinfluss
Das Klimaphänomen La Niña (spanisch für „das Mädchen“) spielt ebenfalls eine Rolle bei den Winterprognosen. Bei La Niña kühlen sich die Wasserschichten im tropischen Ostpazifik ungewöhnlich stark ab.
Für den Winter 2025/2026 prognostizieren Modelle eine schwache La-Niña-Phase. Dieses Phänomen kann die Wahrscheinlichkeit für Störungen des Polarwirbels erhöhen – und damit das Risiko für Kälteeinbrüche steigern.
Allerdings ist der Zusammenhang zwischen La Niña und europäischem Winterwetter komplex und nicht deterministisch. Der DWD betont: Es gibt große Unterschiede zwischen den verschiedenen Modellen.
Die historischen Jahrhundertwinter in Deutschland
Um zu verstehen, was ein echter Jahrhundertwinter bedeutet, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Die kältesten Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zeigen, welche Ausmaße Extremwinter erreichen können.
| Winter | Ø Temperatur | Besonderheiten |
|---|---|---|
| 1962/1963 | -5,48 °C | Kältester Winter des 20. Jahrhunderts, Bodensee zugefroren |
| 1939/1940 | -5,00 °C | Kriegswinter mit extremer Kälte |
| 1928/1929 | -4,84 °C | Rhein zugefroren, Kälterekord -37,8 °C |
| 1946/1947 | -4,55 °C | Hungerwinter, hunderttausende Tote |
| 1978/1979 | -3,20 °C | Schneekatastrophe Norddeutschland |
Der Vergleich zeigt: Die Winter 2009/2010 und 2010/2011 – die letzten mit bundesweiter Schneedecke – waren mit -1,27 °C und -0,59 °C weit von einem Jahrhundertwinter entfernt.
Die Schneekatastrophe 1978/1979
Der Winter 1978/1979 ging als „Jahrhundertwinter“ in die Geschichte ein – obwohl er von den Temperaturen nicht zu den kältesten gehörte. Entscheidend waren die extremen Schneemassen und Stürme.
Ablauf der Schneekatastrophe
Über Weihnachten 1978 herrschte in ganz Deutschland noch Tauwetter mit Temperaturen bis +13 °C. Dann kam der Umschwung: Am 28. Dezember traf eisige Polarluft auf feuchtwarme Atlantikluft. Die Temperatur stürzte innerhalb von 24 Stunden um bis zu 30 Grad.
Die Folgen waren dramatisch:
- 72-stündiger Schneesturm über Norddeutschland
- Schneeverwehungen bis zu 7 Meter Höhe
- Die Insel Rügen wurde von der Außenwelt abgeschnitten
- Temperaturen bis -20 °C
- 67 Tage geschlossene Schneedecke (Rekord seit 1947)
- Mindestens 17 Todesopfer in Deutschland
Die Bundeswehr musste mit Bergepanzern ausrücken. Schwangere wurden per Hubschrauber in Krankenhäuser geflogen – rund 70 „Heli-Babys“ wurden geboren. Im Februar 1979 kam es zu einer zweiten Schneewelle mit noch stärkeren Stürmen.
Winter 1962/1963: Der kälteste des Jahrhunderts
Der Winter 1962/1963 war für ganz Europa einer der strengsten seit Jahrhunderten. Mit einer Durchschnittstemperatur von -5,48 °C erreichte er die Kategorie des echten Jahrhundertwinters.
Extreme Auswirkungen:
- Dreimonatige nahezu ununterbrochene Frostperiode
- Der Bodensee fror komplett zu – erstmals seit 1830
- Der Rhein war zwischen Köln und Emmerich begehbar
- Frost drang bis zu 1 Meter tief in den Boden ein
- Heizöl und Kohle wurden staatlich rationiert
Ursache waren mächtige Hochdruckgebiete über Nordeuropa, die wie ein Bollwerk Warmluft monatelang von Mitteleuropa fernhielten.
Hungerwinter 1946/1947
Der Winter 1946/1947 zeigt die dramatischsten Folgen eines Jahrhundertwinters. In der Nachkriegszeit traf extreme Kälte auf eine bereits geschwächte Bevölkerung.
Die Lebensmittelversorgung brach zusammen. Nach Schätzungen von Historikern starben in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen. Der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings rechtfertigte in seiner Silvesterpredigt den Mundraub für den Eigenbedarf – das „Organisieren“ von Nahrung und Kohle wurde daraufhin „Fringsen“ genannt.
Klimawandel und Jahrhundertwinter
Kann es trotz Klimawandel noch Jahrhundertwinter geben? Die Antwort: Ja, aber sie werden unwahrscheinlicher.
Der langfristige Erwärmungstrend ist eindeutig. Die Winter werden im Durchschnitt milder. Seit 2010/2011 gab es in Deutschland keinen Winter mehr, der bundesweit unterdurchschnittlich temperiert war.
Paradox: Einzelne extreme Kältewellen können trotzdem häufiger werden. Wenn das arktische Meereis schmilzt, gibt der offene Ozean mehr Wärme ab. Das kann den Polarwirbel destabilisieren und zu Kaltlufteinbrüchen führen.
Klimaforscher Mojib Latif erklärt: Ein Jahrhundertwinter wie 1978/1979 ist auch heute noch möglich – aber die Wahrscheinlichkeit sinkt mit jedem Jahrzehnt.
Wie zuverlässig sind Winterprognosen?
Eine wichtige Einordnung: Saisonale Vorhersagen sind keine klassischen Wetterprognosen. Sie beschreiben klimatische Tendenzen über drei Monate – basierend auf Wahrscheinlichkeiten, nicht auf konkreten Wetterdaten.
Grenzen der Vorhersage:
- Ob Kaltlufteinbrüche über Europa ausbrechen, lässt sich nur wenige Wochen im Voraus vorhersagen
- Die Modelle verschiedener Institute zeigen große Unterschiede
- Einzelne Extremereignisse sind Monate vorher nicht prognostizierbar
Der DWD betont: Prognosen, die im Herbst einen „Jahrhundertwinter“ vorhersagen, sind mit großer Vorsicht zu genießen. Zuverlässige Aussagen über einzelne Kältewellen sind erst etwa zwei Wochen vorher möglich.
Was braucht es für einen Jahrhundertwinter?
Damit Deutschland in arktischer Kälte versinkt, müssten mehrere Faktoren gleichzeitig eintreten:
- Schwacher Polarwirbel: Der Polarwirbel muss instabil werden oder sich teilen
- Blockierendes Atlantikhoch: Ein starkes Hoch muss die milde Atlantikluft blockieren
- Wellenreicher Jetstream: Der Jetstream muss Kaltluft nach Süden lenken
- Anhaltende Wetterlage: Die Konstellation muss über Wochen stabil bleiben
Diese Zutaten müssen zur gleichen Zeit zusammentreffen – ein seltenes Zusammenspiel, das statistisch nur alle Jahrzehnte vorkommt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wird der Winter 2025/2026 ein Jahrhundertwinter?
Nach aktuellem Stand: sehr unwahrscheinlich. Der DWD prognostiziert mit 86 Prozent Wahrscheinlichkeit einen normalen bis wärmeren Winter. Die Wahrscheinlichkeit für einen merklich kalten Winter liegt bei 20-30 Prozent. Ein echter Jahrhundertwinter mit Dauerfrost und Schneemassen hat eine Wahrscheinlichkeit von unter 5 Prozent.
Wann war der letzte Jahrhundertwinter in Deutschland?
Der Winter 1962/1963 war der kälteste des 20. Jahrhunderts mit -5,48 °C Durchschnittstemperatur. Die Schneekatastrophe 1978/1979 gilt wegen ihrer extremen Schneemassen ebenfalls als Jahrhundertwinter. Seither gab es keinen vergleichbaren Extremwinter mehr.
Was ist der Polarwirbel und wie beeinflusst er unser Wetter?
Der Polarwirbel ist ein riesiges Tiefdruckgebiet über dem Nordpol mit starken Westwinden. Ein stabiler Polarwirbel hält die arktische Kälte im Norden gefangen – es bleibt bei uns mild. Wird er instabil oder teilt sich (Polarwirbel-Split), kann eisige Luft bis nach Deutschland strömen.
Sind Jahrhundertwinter trotz Klimawandel noch möglich?
Ja, aber sie werden unwahrscheinlicher. Der langfristige Trend zeigt mildere Winter. Paradoxerweise können einzelne Kältewellen durch die Destabilisierung des Polarwirbels (wegen schmelzendem Arktiseis) sogar häufiger werden – aber echte Jahrhundertwinter werden seltener.
Wie kalt muss ein Winter für die Bezeichnung Jahrhundertwinter sein?
Eine wissenschaftliche Definition gibt es nicht. Experten sprechen von einem Extremwinter, wenn die Durchschnittstemperatur mehr als 3 °C unter dem Normalwert liegt – mit anhaltendem Dauerfrost und geschlossener Schneedecke über Wochen. Die kältesten deutschen Winter lagen bei -5 bis -5,5 °C.
Fazit: Jahrhundertwinter 2025/2026 unwahrscheinlich
Der Begriff Jahrhundertwinter sorgt jeden Herbst für Schlagzeilen – doch die Realität ist meist ernüchternder. Der Deutsche Wetterdienst sieht für den Winter 2025/2026 keine Anzeichen für einen Extremwinter. Ein schwacher Polarwirbel und La Niña könnten zwar einzelne Kältephasen begünstigen, aber ein echter Jahrhundertwinter mit Dauerfrost und Schneechaos bleibt sehr unwahrscheinlich.
Die historischen Extremwinter wie 1962/1963 oder die Schneekatastrophe 1978/1979 zeigen, was ein echter Jahrhundertwinter bedeutet: zugefrorene Flüsse, wochenlanger Dauerfrost, Versorgungsengpässe. Solche Ereignisse bleiben im Zeitalter des Klimawandels möglich – aber ihre Wahrscheinlichkeit sinkt kontinuierlich.
Wer auf einen schneereichen Winter hofft, sollte die Erwartungen realistisch halten: Einzelne Kältephasen sind möglich, besonders im Januar 2026. Ein Jahrhundertwinter wie ihn ältere Generationen erlebten, wird aber wohl ausbleiben.











